Wie “ausgebrannt” sind Fußballprofis?

b-side.football hat den Sportpsychologen Fabian Decker getroffen und mit ihm über psychische Belastung im Fußball gesprochen. Der Vorarlberger hat im März 2020 gemeinsam mit der Fußballergewerkschaft VdF eine Support-Hotline für Fußballerinnen und Fußballer eingerichtet, die mit mentalen Herausforderungen zu kämpfen haben.

b-side.football: Wieso war es deiner Meinung nach, so lange Tabu über das Thema der psychischen, gesundheitsgefährdenden Belastung im Profifußball zu sprechen?

Fabian Decker: Das hat viele Gründe: Zum Beispiel den Männlichkeitsfaktor im Profisport, keine Schwäche zu zeigen, die Angst um den Vertrag oder die Befürchtung dass der Stammplatz in Gefahr ist. Auch die Angst vor der Annahme von Trainer, Mitspieler und Fans dem mentalen Druck nicht gewachsen zu sein. Ebenso wie die Angst keinen neuen Verein zu finden, falls die Problematik publik wird.

Der Suizid der Profifußballer Robert Enke 2009 und Andreas Biermann 2014 war die Folge ihrer langjährigen Depression. Danach wurde es jedoch immer still um das Thema, was hat sich seitdem (zumindest in Deutschland) getan?

In Deutschland wurde seitdem einiges erneuert um die mentale Gesundheit bei Spielern zu erhalten und zu fördern. Die Robert-Enke-Stiftung wurde ins Leben gerufen, von welcher aus auch eine Helpline für mental belastete Fußballprofis installiert wurde. Weiters ist es in den ersten 3 Ligen verpflichtend einen Sportpsychologen für die Nachwuchsleistungszentren anzustellen. Leider ist dieser selten auch für die Profi-Mannschaft zuständig. Viele Vereine sehen die Sportpsychologen immer noch als Reparateure, wenn etwas schief läuft, erkennen aber nicht das Potenzial der Leistungssteigerung durch mentale Fitness.

Quelle: https://fabiandecker.com/home/blog/

“Die Befürchtungen, die ich hatte, bevor ich meine Krankheit öffentlich gemacht habe, haben sich bestätigt. Ich würde keinem depressiven Profi empfehlen, seine Krankheit öffentlich zu machen.” sagte Andreas Biermann 2010 nachdem sein Vertrag bei St. Pauli nicht mehr verlängert wurde. Wie bewertest du diese Aussage – verbirgt sich dahinter ein grobes systemisches Versagen des DFB?

Ich würde dies nicht als Versagen des DFB beschreiben, sondern eher als Spiegelbild unserer Gesellschaft. Es ist immer noch eine große Hemmschwelle vorhanden über psychische Probleme zu sprechen. Dies ist schon für jeden Einzelnen eine Herausforderung. Jedoch umso mehr für Fußballprofis welche 24/7 im Rampenlicht stehen und beinahe Schritt auf Tritt überwacht werden. Schwäche zu zeigen und nach Hilfe zu suchen fällt daher sehr schwer. Besser wäre es den Spielern außerhalb des Vereins Anlaufstellen anzubieten, damit sie sich trauen, sich auch in ihrer Freizeit um ihre mentale Gesundheit zu kümmern.

Was wird bei Fußballprofis öfter hervorgerufen, Burnout oder Depression?

Kann so wohl nicht gesagt werden, da es meines Wissens noch keine Vergleichsstudie mit dieser Population zu Burnout und Depression gibt. Jedoch ist belegt, dass viele Profis mit der Breite an Anforderungen im Leben als Fußballer überfordert sind und sich dies negativ auf ihre mentale Gesundheit auswirkt. Viele haben auch einfach keinen Ausgleich neben dem Fußball und spüren erst nach der Karriere wie „leer“ bzw. „ausgebrannt“ sie eigentlich sind.

Deine Erhebung war die erste dieser Art in Österreich. Sind deine Ergebnisse abweichend bzw. sogar alarmierend im Gegensatz zu anderen Ländern/Ligen/Studien?

Dazu muss gesagt werden, dass meine Studie nicht die ganze Population der professionellen Fußballspieler in Österreich repräsentiert. Dafür hätte es eine größere Stichprobe gebraucht, die mir zu diesem Zeitpunkt leider nicht möglich war zu generieren. Jedoch lässt sich sagen, dass die Ergebnisse von den TeilnehmerInnen sich ziemlich genau im Mittelwert aller anderen vergleichbaren europäischen Studien befinden.

Gibt es Korrelationen zwischen schlechter bezahlten FußballerInnen/niedrigeren Ligen und Depression/Burnout?

Das lässt sich meiner Meinung so nicht beantworten. Aus meiner Studie ist ersichtlich, dass Sportler in der Bundesliga minimal mehr Anzeichen von Depression und Ängstlichkeit zeigten als zum Beispiel die Stichprobe der Regionalliga. Zudem gaben die Bundesligisten auch an, unter mehr sportberuflichen Disstress zu leiden als die Regionalligisten.

Deskriptive Statistik BUNDESLIGA
 NMinimumMaximumMittelwertStandardabweichung
Sportliche Zufriedenheit19153,371,065
Allgemeine Zufriedenheit19153,74,991
Summe GHQ12 Likert (Schwellenwert 11/12)1961910,893,886
Summe RS1319618774,816,702
Summe Distress Screener Sportlich19052,161,425
Summe Distress Screener Allgemein19031,321,157
Gültige Werte (Listenweise)19    
Auswertung Masterarbeit Fabian Decker

Deskriptive Statistik REGIONALLIGA
 NMinimumMaximumMittelwertStandardabweichung
Sportliche Zufriedenheit15153,471,060
Allgemeine Zufriedenheit15354,00,655
Summe GHQ12 Likert (Schwellenwert 11/12)153199,874,998
Summe RS1315538272,089,584
Summe Distress Screener Sportlich15041,731,438
Summe Distress Screener Allgemein15062,071,534
Gültige Werte (Listenweise)15    
Auswertung Masterarbeit Fabian Decker

Gibt es eine Korrelation zwischen dem (fehlenden) sozialen Umfeld der FußballerInnen und dem (Nicht-)Auffangen/Erkranken von Depressionen? (Stichwort: emotionale Entlastung außerhalb des Fußballs)

Es ist bei sehr vielen Spielern so, dass es nicht viel Platz und Raum für Aktivitäten außerhalb des Sports gibt. Vielen würde jedoch eine Abwechslung gut tun. Ein adäquates soziales Netz kann für die mentale Gesundheit sehr unterstützend sein. Stark problematisch erlebe ich dieses Thema bei Legionären, welche außerhalb ihres Heimatlandes spielen und oft nur sehr wenige Bezugspersonen in ihrer Nähe haben.

Abgesehen vom sportlichen Druck, gerade an der Spitze des Fußballs, welche Rolle spielen Fans und soziale Medien für psychische Erkrankungen von Fußballprofis?

Natürlich spielen die Fans eine große Rolle, welche auch Druck und Angst erzeugen können. Und ganz trennen lassen sich seit Facebook & Co die Punkte Fans und Social Media nicht. Es ist immer wieder zu lesen, wie einzelne Spieler in den sozialen Medien von „Fans“ nach einer schlechten Leistung oder einem Wechsel niedergemacht werden. Auch dafür wäre eine Anlaufstelle für den richtigen Umgang bzw. die richtige Dosis von Social Media gerade für junge Profis sehr wichtig um sich auch genügend abgrenzen zu können.

Sollten, zumindest in Profiakademien, Schulungen durchgeführt werden um JugendspielerInnen angemessen auf den Umgang mit der „Ist-Soll-Diskrepanz“ vorzubereiten und so den Leistungsdruck im Vorhinein zu mindern?

Ist zum Glück bei einigen Akademien schon der Fall. Jedoch sollte gerade in NLZ die mentale Komponente nicht vergessen werden, da dort ja auch schon früh mit den Auswahlverfahren begonnen wird und sich jeder behaupten möchte. Gleichzeitig sollte man aber auch 11 Freunde sein, die füreinander kämpfen und sich einsetzen. Trotzdem schafft es bei weitem nicht jeder in die nächste Leistungs- bzw. Altersstufe. Hilfreich wäre dabei auch die Implementierung eines dualen Systems, bei dem neben der Ausbildung zum Fußballprofi, die schulische Laufbahn gefördert oder das Erlernen eines Berufs ermöglicht wird, um nicht das ganze Leben nur auf den Traum „Profi-Fußballer“ auszurichten, sondern auch einen Plan B zu haben.

Wie viel Psychologe muss ein Fußballtrainer heutzutage sein? Welche Rolle können Trainer bei der Entstehung von Depression/Burnout spielen?

Durch die Entscheidungen die man als Trainer zu treffen hat, liegt es in der Natur des Jobs, dass man nicht jede/n glücklich machen kann. Die Art und Weise wie der Coach mit den Spielern umgeht ist jedoch entscheidend. In dieser Position kann viel dazu beigetragen werden, wie die Atmosphäre innerhalb des Teams ist und dass sich die Spieler auch gegenseitig auf und abseits des Platzes unterstützen.

Das Gruppen-Klima spielt in erfolgreichen Teams eine große Rolle. Wie sehr geht das noch in einer Zeit wo Spieler regelmäßig wechseln und der Konkurrenzdruck um den eigenen Stammplatz, sogar noch in den Landesligen, sehr hoch ist?

Positive teaminterne Kommunikation und Angebote für die Spieler, um als Mannschaft gemeinsam zusammenzuwachsen. Gerade dafür kann auch ein Sportpsychologe von Vorteil sein, der Team-Building-Aktivitäten, präventives Mentaltraining etc. anbietet.

Gibt es Vereine/Verbände die du als Vorreiter im Bereich der psychologischen Hilfe oder Präventionsarbeit sehen würdest?

Großbritannien hat sich schon sehr früh für mentale Gesundheit bei Profi-Sportlern eingesetzt. Gerade Tony Adams (früherer Arsenal Kapitän), der während seiner Karriere Alkohol- und Drogenabhängig wurde, etablierte bereits um 2000 herum eine Initiative für die Erhaltung und Förderung der mentalen Gesundheit von Sportlern.

Inwiefern unterschiedet sich Profifußball im Gegensatz zu Einzelsportarten (im Kontext von psychischer Belastung)?

Die Belastung schätze ich bei beiden Sportarten als hoch ein, da es am Ende ja immer Individuen betrifft. Allerdings ist die Versorgungssituation bei Einzelsportarten – sofern die finanziellen Mittel dafür aufgewendet werden können – wie z.B. bei Tennis um einiges besser. Es gibt zumeist ein besseres Verhältnis von Trainerteam pro Athlet. Da kann auch mehr Rücksicht auf die mentale Komponente genommen werden.

Wie gut wird die Supporthotline beim VdF angenommen?

Bisher ist die Supportline ganz akzeptabel gestartet. Es war im Vorhinein klar, dass es zuerst eine Implementierungsphase brauchen würde, in der die Promotion zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist. Es ist deutlich spürbar, dass wenn wieder eine Aussendung getätigt wird, den Spielern diese Option mehr bewusst ist. Jedoch hatte auch Covid-19 seinen Anteil daran, dass die Bewerbung der Supportline noch nicht auf dem Stand ist, wie es geplant gewesen wäre.

Bist du der einzige Mitarbeiter und ist die Beratung kostenlos?

Ich bin der bisher einzige Berater, jedoch gibt es ein großes Netzwerk an Sportpsychologen und Therapeuten in der Hinterhand, welches bei Bedarf je nach geografischer Lage aktiviert wird. Die Beratung ist für aktuelle VdF-Mitglieder komplett kostenlos.

Fabian Decker (*1993) ist in Lustenau geboren. Als studierter Sportpsychologe und ehemaliger Fußballspieler verbindet er Hobby und Beruf. In Koorperation mit der VdF hat er in Österreich die erste Supporthotline für Fußballer*innen, die unter mentalem Druck stehen, ins Leben gerufen.

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