Der Verein der Wärme schenkt
Die Wiener Viktoria, Neo-Regionalligist aus dem Bezirk Meidling, ist für die breite Öffentlichkeit ein unbeschriebenes Blatt. Dabei gibt es einiges, das den Klub aus dem Westen Wiens von den meisten anderen Vereinen in Österreich abhebt. Ein Lokalaugenschein bei einem Verein, der die Strahlkraft von Fußball nutzt um gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben.
Das Cup-Match gegen den LASK ist trotz des Mittwochtermins gut besucht. Rund 1000 Zuschauer haben den Weg auf den Viktoria Platz gefunden. Im reinen Stehplatz-Stadion helfen sich die Leute mit Heurigenbänken oder Blumentöpfen um besser sehen zu können. Die Schlange zum Bierkaufen ist dennoch kurz. Nur am Rande bekommen wir deshalb das Tor zum 0:3 mit. Ein paar Leute im Umkreis schimpfen, richtig groß ist der Ärger jedoch nicht. „A Tor für die Viktoria tat i aber schon no gern sehn“, sagt ein Fan. Keine 5 Minuten später, wir haben gerade wieder unsere Plätze zwischen Kantinenzelt und Kabinen eingenommen, sollte der Wunsch des Fans in Erfüllung gehen. Topscorer Rotter verwandelte Kevin Bangais‘ Kopfballablage mit einem wuchtigen Schuss im Kreuzeck und die Viktoria Fans jubelten als ob der Siegtreffer gefallen wäre. Trotz des Ausscheidens, ein großer Abend für einen kleinen Verein. Zwei Tage später, gleicher Schauplatz. Diesmal ist der kleine der große. Die Wiener Viktoria richtet gemeinsam mit der UNHCR ein Flüchtlingsturnier aus. Und auch ohne Zuschauer oder Fernsehkameras versuchen es die Verantwortlichen des Vereins, genauso gut zu machen wie gegen den LASK. „Die Viktoria soll ein Verein sein, in dem Lebensumstände nicht im Mittelpunkt stehen, sondern jeder Mensch einen Platz finden kann.“, sagt Obmann Roman Zeisel zum Ballesterer. Fußball nutzen, um im Rahmen der Möglichkeiten einen sozialen Wandel anzustreben. Diesen Vorsatz hat sich die Viktoria an die Fahne geheftet.
Meidlinger Gier zu helfen
„Der hauseigene Sozialverein der Viktoria, VIK Sozial, existiert nun schon seit sechs Jahren. Vorsitzender ist der Experte für Sozialpsychiatrie, Univ.-Prof. Dr. Otto Lesch“ sagt Zeisel. Die Vizepräsidentin und Wiener Nationalratsabgeordnete Nurten Yilmaz ergänzt: „Dieses Projekt war unser erstes als Fußballverein wo wir in das Soziale hineingegangen sind.“ Zeisel kam auf die Idee, als er davon erfahren hat, dass ein Obdachloser bei der Philadelphiabrücke in Meidling im Winter erfroren ist. „Ich dachte mir die Heizung in den Vereinsräumlichkeiten läuft im Winter sowieso die ganze Zeit und zahlen musst du sie auch. In den ersten Jahren haben insgesamt an die 15.000 Menschen die Möglichkeit genutzt bei uns zu übernachten.“, so der Obmann. In den kalten Wintermonaten kommen die Menschen gegen 22:30 auf das Vereinsgelände, erhalten dort frisches Bettzeug und können bis zum kommenden Morgen bleiben. Von den insgesamt sechs Betreuern, welche die Viktoria für dieses Projekt eingeplant hat, ist immer jemand vor Ort. Auch gibt es eine Kooperation mit dem Caritas Kältetelefon, und wenn medizinische Hilfe benötigt wird, dann steht das Gesundheitszentrum Neunerhaus im 5. Wiener Gemeindebezirk zur Verfügung. Doch der Regionalligist hat noch mehr zu bieten. So gibt es Gewalt- und Suchtmittelpräventionsschulungen für die jugendlichen Vereinsmitglieder.“ Hier versuchen wir das Bindeglied zwischen, Schule, Elternhaus und dem Kind zu sein. Wir wollen Kinder die durch aggressives Verhalten auffallen nicht bestrafen und aus dem Verein werfen, sondern eine Hilfestellung geben“, sagt Zeisel. „Auch die Nachwuchstrainer spielen hierbei eine relevante Rolle“, sagt Schriftführerin Sandra Wilhelm. „Diesen geben wir mit, dass gerade im Alter zwischen vier und acht Jahren wichtige Parameter festgesetzt werden die über Zukünftiges entscheiden können.“ Aufgrund der guten Kontakte des Obmanns, können jedes Jahr drei Jugendliche, die ihrer Bildungs- oder Ausbildungspflicht auf konventionellem Weg nicht nachkommen konnten, eine Lehrstelle beim befreundeten Betrieb Erge-Installationen in Meidling starten. „Jeder verdiente eine zweite Chance“, so Zeisel. Deshalb hat der Klub auch Gratis-Sozialbetreuung und Gratis-Deutschkurse im Angebot und bietet die Möglichkeit für eine Rehabilitation von Menschen aus dem geschlossenen Vollzug, in dem sie beim Verein angestellt werden. Besonders auf Menschen die wegen Betrugsdelikten verurteilt wurden und den Wiedereinstieg in das Berufsleben schaffen sollen, ist hier der Fokus gelegt worden. Das Geld, das für die unterschiedlichen Projekte benötigt wird, kommt allerdings nicht über Förderungen der öffentlichen Hand, sondern ausschließlich über Spenden. „Bei Förderungen wäre das Problem, dass es natürlich auch wieder einige Vorgaben geben würde an die man sich zu halten hätte. Bei der VIK Sozial bewegen wir zwischen 50.000 und 70.000 Euro im Jahr. Die Manpower ist natürlich gratis. Wir wollen das auch auf der Ehrenamtlichen-Schiene laufen lassen, denn die Deckungsbeiträge bei manchen Hilfskampagnen sind so hoch, dass von dem tatsächlichen Geld nur ein Teil am Ende dort ankommt wo es auch hin sollte“, sagt Zeisel. Auch das Ansuchen um Förderungen, und der beständige Personalaufwand stellt eine massive Aufgabe dar, wie Yilmaz schildert: „Man braucht Ressourcen um den Antrag auszufüllen, das Projekt zu beschreiben, alle Rechnungen zu sammeln, Zwischenberichte zu machen, rechtzeitig abzurechnen, usw. Da benötigt man eine eigene Kraft dazu die das alles übernimmt.“
Flucht, Musik und Fußball
Im Herbst 2019 fand zum achten Mal der ‚Lange Tag der Flucht‘, von UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR veranstaltet, statt. „Über Flüchtlinge und die Themen Asyl und Integration wird im politischen Diskurs zumeist problembehaftet diskutiert. Mit dem ‚Langen Tag der Flucht‘ wollen wir einen anderen Akzent setzen und bei Kunst, Kultur, Spiel, Sport oder Workshops das Gemeinsame vor das Trennende stellen“, sagt Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich. In ganz Österreich gab es an diesem Tag vielfältige Veranstaltungen zu besuchen. Auch heuer fand am Platz der Meidlinger wieder das Fußballturnier der UNHCR statt. Neben Teams die aus geflüchteten Menschen bestanden, waren Mannschaften wie der FC Schwarz-Weiß Augustin oder der Gruft-Wien vertreten. „Wir stellen hier immer Dressen, Bälle, Essen und Mineralwasser zur Verfügung.“, sagte Zeisel. Im gleichsam emotionalen wie umkämpften aber stetes friedlichen Finale, konnte die Mannschaft des FC Zukunft knapp mit 3:2 nach Elfmeterschießen gegen die Jungs von der Caritas Käfig League gewinnen. Welchen Stellenwert das Turnier auch für die Viktoria hat, sah man daran, dass Kampfmannschaftstrainer Toni Polster am Ende die Siegerehrung übernommen hat. Ein weiteres Highlight folgte eine Woche später beim Band Fußball Cup am ersten Sonntag im Oktober. Heimische Größen der Alternativ-Musiklandschaft wie Voodoo Jürgens, Der Nino aus Wien, 5/8erl in Ehr’n oder Birgit Denk spielten für ein guten Zweck. Der komplette Erlös ging an die Wiener Frauenhäuser. Für die stets strittigen Schiedsrichterentscheidungen sorgten keine geringeren als Steffen Hoffmann, Hans Krankl und Herbert Prohaska. Die soziale DNA der Viktoria Meidling ist keine gekaufte oder geheuchelte. „Wir wollen, dass die Leute zamkommen, drum rennts bei uns hald a bisl anders.“, sind sich die Verantwortlichen bei der Viktoria einig.
Text: Matthias Krammerstorfer & Stefan Mayer
Photos: Matthias Krammerstorfer
Dieser Text ist under dem Titel “Der Verein des Vereins” auch im Ballesterer #146 erschienen.