Bella Ciao, Bella Ciao, Bella Ciao Ciao Ciao!
Seit 1997 findet die Mondiali Antirazzisti statt, ein Sport- und Kulturevent in der Nähe von Bologna, das sich neben dem Sport auch einen gesellschaftlichen Auftrag an die Fahne geheftet hat. Einst als kleines Fußballturnier von antifaschistischen Ultragruppen gestartet, hat sich die Mondiali Antirazzisti zu einem internationalen Treffpunkt entwickelt, um Rassismus und Repression in der Gesellschaft entgegen zu treten.
Auf einem provisorisch angelegten Kleinfeld kullert der Ball nach einer guten Hereingabe der Außenspielerin in den Strafraum, doch der Boden ist so uneben, dass der Stürmer nur ein Luftloch tritt und das Leder in einem Schlammloch nahe der Eckfahne zum Stehen kommt. Statt Spott gibt es vom gegnerischen Torhüter einen aufmunternden Klatsch auf die Schulter. Man hört die kommunistische Hymne „Bella Ciao“ im Hintergrund und sieht die Ersatzspieler/innen, die Schulter an Schulter an ihrem Bier nippen. Eine typische Szene beim vielleicht größten antifaschistischen Fußallturnier in Mitteleuropa, der Mondiali Antirazzisti. Vor 23 Jahren beschloss eine Ultrasektion des FC Bologna, dass man eine Reaktion auf den grassierenden Rassismus in den italienischen Stadien zeigen müsse. Sie beschlossen ein Fußballturnier zu organisieren, um eine Plattform zu schaffen, die auf dieses Problem aufmerksam macht. Spaß und der Fairplay-Gedanke sollten dabei im Vordergrund stehen und Menschen eingeladen werden, die im konventionellen Fußball mit Diskriminierung zu kämpfen hatten. Unterstützung kam ausgerechnet von einer Fangruppe des Lokalrivalen FC Modena, der die Idee gefiel. „Am Anfang standen sich die beiden Fanlager natürlich skeptisch gegenüber. Aber als man sich besser kennen gelernt hat, ist sogar eine Freundschaft zwischen vielen Bologna- und Modena- Fans entstanden. Das war lange Zeit undenkbar. Mit Kommunikation ist aber fast alles möglich.“ sagte Alessandro, der sportliche Organisator der Mondiali Antirazzisti.
Siamo Tutti Antifascisti
Als Schauplatz für das Event fungiert seit der ersten Auflage ein Grundstück am Bosco Albergati, einem riesigen Privatgelände des Instituts für die Geschichte der Partisanen. Auch andere antifaschistische Fußballfans, vor allem aus der lokalen Reggio-Emilia, schlossen sich der Organisation an und so startete das Turnier im Sommer 1997 mit 8 Teams. Im Jahr darauf waren es bereits 20 und im letzten Jahr sogar 204 Mannschaften aus mehr als 20 Ländern. „Fußball ist eine einfache Sprache und kann helfen eine gesellschaftliche Veränderung hervorzurufen, die die Politik nicht schafft.“ womit Koordinatorin Leila den Umstand erklärte, dass das Turnier so schnell gewachsen ist. Einer der wesentlichen Unterschiede zu anderen Veranstaltungen war, dass die Organisator/innen der Mondiali Antirazzisti nicht nur über Flüchtlinge oder Migranten geredet haben, sondern mit ihnen. „Flüchtlinge sind oft in einer rechtlich aussichtslosen Situation, was Arbeitsplatz und soziale Absicherung angeht. Wir wollten ihnen einen Platz geben um zu zeigen, dass sie in dem Land in das sie flüchten mussten, willkommen sind und sich auch aktiv in gesellschaftliche Prozesse einbinden können.“ sagte sie. Neben dem Fußballturnier finden auch immer mehr Workshops am Tag und Konzerte in der Nacht statt. Rugby, Basketball, Volleyball und sogar Lacrosse wird mittlerweile auch gespielt bei der Mondiali.
Einzigartigkeiten findet man aber in vielen Bereichen des Turniers. So gibt es zum Beispiel keine Schiedsrichter/innen. Die Mannschaften sollen miteinander reden und Uneinigkeiten durch Kommunikation und Konsens lösen. Die sogenannten Self-Referee-Games sollen Fairness fördern. Und tatsächlich, grobe oder beabsichtigte Fouls beziehungsweise Streitigkeiten am Spielfeld konnten nicht beobachtet werden. „Im Fußball dominiert der Gedanke immer gegeneinander spielen zu müssen. Ohne Referee wird aber die Möglichkeit geschaffen, Vertrauen in das andere Team zu entwickeln. Wenn du sogar auf dieser Ebene jemanden brauchst, der eine Karte zücken muss, dann hast du schon verloren.“ sagte Alessandro. Ob dieser Zugang nicht zu viel verlangt ist oder schon zu Problemen geführt hat, wollte ich schließlich wissen. „Vor vielen Jahren waren Sankt Pauli Fans mit einer Mannschaft angereist und auch eine Gruppe junger Fußballfans aus Bosnien. Als diese mit ihren Nationalteamshirts aufliefen, weigerten sich die Hamburger gegen sie zu spielen und haben ihnen nationalistisches Gedankengut vorgeworfen.“ Durch einen Gesprächsmentor, der deutsch und bosnisch sprach, konnte aufgeklärt werden, dass die jungen Männer die bosnische Flagge als Friedenssymbol trugen, um das kürzliche Kriegsende im eigenen Land zu feiern. Nach einem langen Gespräch über die politische Situation in Bosnien waren die Barrieren zwischen beiden Teams gebrochen und es konnte gespielt werden. Ein anderes Mal tauchte eine Gruppe Lazio Rom Fans bei der Mondiali auf, deren Anhänger als traditionell rechts bis rechtsextrem gelten. Was auf den ersten Blick wie eine Provokation faschistischer Fans wirkte, war in Wirklichkeit eine erste Emanzipation von „Biancocelesti“, die sich von der rassistischen Kurve im eigenen Stadion distanzieren wollten und in der Mondiali einen Ort dafür gefunden haben. „Die Mondiali Antirazzisti hat schon so manche Geschichten geschrieben, die selbst die Begründer/innen für nicht möglich gehalten hätten.“ erzählte Tulia vom Merchandising-Stand. Am Piazza Antirazzisti können Fangruppen aus der ganzen Welt ihre Projekte im Mondiali-Spirit vorstellen und dokumentieren. Dadurch haben Nachahmungsveranstaltungen ihren Weg mittlerweile sogar bis außerhalb Europas gefunden. Die bekannteste ist wahrscheinlich die „Antira“ auf Sankt Pauli. Die gute Öffentlichkeitswirksamkeit der Mondiali liegt nicht zuletzt an (zumindest in Italien) bekannten Unterstützern, wie dem ehemaligen Nationalspieler und AS Roma Mittelfeldspieler Damiano Tommasi, der als überzeugter Antifaschist den Bosco Albergati regelmäßig besucht.
„Salvini, Salvini! Va fanculo!“
Dass das antifaschistische Fußballturnier dieses Jahr erstmals zwei Mal stattfindet, hat vorrangig mit der politischen Situation in Italien zu tun. „Rechtsextreme bekommen so viel Zulauf wie schon lange nicht mehr. In ganz Europa und speziell in Italien ist die politische Lage für uns gerade wenig erfreulich, darum muss man derzeit umso aktiver mit Gegenkonzepten auftreten und zeigen, dass es auch anders geht. Im Sommer findet ein noch größeres Event im süditalienischen Riace statt“ sagte Leila. „Es ist uns einfach auch wichtig eigene Werte sichtbar in der Mondiali zu integrieren.“ so Alessandro. „Der Siegerpokal ist also auf keinen Fall die wichtigste Trophäe. Wir haben auch Pokale für das fairste, das kreativste und das diverseste Team zu vergeben.“ So kommt es, dass man bei den meisten Teams des Turniers Männer, Frauen und manchmal sogar auch Kinder dem Ball nachjagen sieht. Am letzten Tag die Siegerehrungen. Unter großem Getöse und musikalischer Begleitung werden die Preise vergeben. Eine Mannschaft mit Pride-Irokesenperücken gewinnt den Pokal für das Team mit dem längsten Anreiseweg. „Wir versuchen kreativ zu sein, wofür wir die Trophäen vergeben. Damit können wir ideal die Mundiali-Werte nach außen tragen.“ sagte Alessandro. Kurz danach stimmten die Sieger/innen „Salvini, Salvini! Va fanculo!“ an und Alessandro verschwand euphorisch singend in der Menge. Und so kommt es, dass der Abend mit der Los Fastidios Hymne „Antifa-Hooligan“ aus den Lautsprechern und jeder Menge Bier ausklingt. Die Mondiali Antirazzisti eben, ein Fußballturnier bei dem es um mehr als nur den Tritt gegen das runde Leder geht.