Mit nigerianischer Schützenhilfe in die Championsleague
Der Niederländer Tscheu La Ling ist Besitzer des mittelslowakischen Vereins AS Trencin. Die internationale Ausrichtung La Lings brachte den Klub dazu, eine globale Transferpolitik nach klarer Vereinsphilosophie zu verfolgen, in der junge Nigerianer eine zentrale Rolle einnehmen. Ein Lokalaugenschein.
Zwischen dem Waag-Fluss und dem Burghügel im Zentrum der slowakischen Stadt Trencin steht das Stadion Na Sihoti, die Heimstätte des 1992 gegründeten AS Trencin. Das Stadion ist mit 4.500 Plätzen klein, umso größer sind die Pläne des Vereins. 2015 und 2016 konnte der Klub die Saison jeweils als Doublesieger abschließen, die Titel waren die Höhepunkte einer bis dahin eher bedeutungslosen Vereinsgeschichte. Die Wende kam 2007, als der ehemalige Ajax-Profi Tscheu La Ling den Klub übernahm und ein klares Ziel ausgab: das Erreichen der Champions League. Bislang scheiterte Trencin zweimal in der Qualifikation, aktuell reichte der fünfte Platz der vergangenen Saison nur für die erste Qualifikationsrunde zur Europa League.
Infrastrukturell steht der AS Trencin innerhalb der Slowakei vergleichsweise gut da. Im Stadion und den modernen Trainingsplätzen findet man ausschließlich gepflegten Kunstrasen. Abgesehen vom Spielfeld versprüht das Na Sihoti jedoch noch die typische Ostblockromantik. Die überdachte Haupttribüne und die Steinkurve für die Auswärtsfans sind ebenso sanierungsbedürftig wie die Kabinen und die Sanitäranlagen. Der Großteil des Stadions ist derzeit Baustelle. Die Sanierung ist ein Projekt, welches seit langem verfolgt, jedoch nur schleppend umgesetzt wird. Ein brisantes Thema, da die internationalen Spiele des AS Trencin im rund 80 Kilometer entfernten Stadion von Žilina absolviert werden müssen. Die Dauerbaustelle ist ein Thema, das vor allem den Fans sauer aufstößt, wie Dominik, der Capo der lokalen Ultragruppe Trenchtown Gangsters beklagte: „Das größte Problem für die Atmosphäre im Stadion ist, dass wir weder eine eigene Kurve, noch eine Gegentribüne haben. Viele Versprechungen wurden gemacht, jedoch wurde wenig davon umgesetzt. Wir sind frustriert, hoffen aber dennoch auf eine baldige Fertigstellung unseres Stadions.“
Alles begann mit Moses Simon…
Der holländische Besitzer verlieh dem Verein einen personellen und spielphilosophischen Oranje-Anstrich, um sportliche Erfolge zu feiern und Geld zu verdienen. Toptalente in europäischen Klubs wie Stanislav Lobotka von Celta Vigo sowie Moses Simon und Samuel Kalu vom KAA Gent kamen über Trencin zu ihren aktuellen Vereinen. Dass Simon und Kalu beide aus Nigeria kommen, ist kein Zufall, sondern zeigt die gezielte strukturelle Ausrichtung des Vereins. Dazu gehört eine enge Kooperation mit der Golden Boot Soccer Academy (GBS) im nigerianischen Jos und dem KAA Gent. Um letzteres Ziel zu erreichen, legte La Ling den Fokus auf den europäischen Transfermarkt – und auf ein globales Scouting. Beachtliche Erfolge auf diesem Gebiet ließen nicht lange auf sich warten. Die Transfererlöse stiegen, seit der Saison 2014/15 konnte der Verein ein Plus von mehr als vier Millionen verbuchen.
Das erste und beste Beispiel für dieses Modell ist der Fall Moses Simon. Im Sommer 2013, nach einem beeindruckenden Auftritt mit Nigeria im Jugendturnier in Toulon, nahm der 17-jährige GBS-Academy-Schüler Simon bei Ajax am Training teil, trat bei einem Testspiel an und konnte überzeugen. Im Interview mit dem Portal Supersport sagte Akademietrainer Ibrahim Ahmed damals: „Ich habe lange keinen so talentierten jungen Spieler wie Moses gesehen. Er ist immer gut für eine besondere Aktion, er schüchtert gegnerische Verteidiger ein und macht fantastische Tore.“ Doch zu einem Wechsel nach Amsterdam kam es nicht, Simon kehrte zunächst nach Nigeria zurück. Im Jänner 2014 jedoch holte La Ling ihn nach Trencin. Wohlwissend, dass ihm Fußballer mit solcher Qualität bei der Finanzierung des neuen Stadions sehr hilfreich sein könnten. 38 Spiele und 27 Torbeteiligungen später wechselte Simon im Winter 2015 um rund 750.000 Euro nach Gent, ein weiterer Transfer in diesem Sommer gilt als ausgemacht, angeblich soll der FC Liverpool Interesse haben.
Der Wechsel von Simon war der Start für die Kooperation zwischen der GBS-Academy in Jos und dem AS Trencin sowie KAA Gent. Seither wurde am Häufigsten auf die Dienste von jungen nigerianischen Spielern gesetzt. 16 Nigerianer spielten seit 2014 beim AS Trencin, wobei zehn von ihnen aus der GBS-Academy stammen und mehrheitlich von der Beraterfirmer GBS- International-Group vertreten werden. Konkrete Informationen über die Besitzerverhältnisse der Akademie, ließen sich auch nach Interviewterminen beim AS Trencin, mit dem nigerianischen Journalisten Andrew Randa und auch auf direkter Anfrage bei der Akademie nicht herausfinden. Ein nicht unwesentlicher Punkt, wenn man bedenkt, dass die Akademiebesitzer die Profiteure von Transfers nach Europa sind. Als einziges Verbindungsglied aller Akteure ließ sich der Spielerberater Tony Harris, der im Auftrag der GBS-International-Group aktiv ist, ausfindig machen. Konkretes Wissen über Tony Harris ist jedoch sogar in Nigeria Mangelware, wie Andrew Randa ein Blogger, Redakteur und Experte der lokalen Fußballszene, der selber in Jos lebt, bestätigte. „Ich kann euch leider nicht sagen wer dieser Tony Harris ist, das versuche ich derzeit selber heraus zu finden.“ schrieb der Journalist auf die Frage nach der Person Tony Harris. Auch der Firmenstandort der GBS-International-Group und deren Eigentümerverhältnisse sind für Andrew Randa nicht nachvollziehbar. Auch das kurz gehaltene Statement, das aus einem Facebook-Chat mit der GBS-Akademie hervorging, brachte keine neuen Erkenntnisse: „Tony Harris ist der Berater von unseren Spielern, die in Europa tätig sind.“ Damit bleibt die Frage offen, wer die Hauptanteile der Gewinne lukriert: Die GBS-Academy, die GBS-International-Group, Tony Harris oder unbekannte Dritte? Anzunehmen ist jedoch, dass Tony Harris in seiner Rolle als Spielerberater bei zukünftigen Transfers seiner Klienten auf alle Fälle Beteiligungen an der Ablöse erhält.
Sprungbrett für Sprungbrettligen
Beim Blick auf die Transferabgänge des AS Trencin lässt sich ebenfalls ein gezielter Spielerstrom feststellen: Fünf Spieler – und damit mehr als zu jedem anderen nichtslowakischen Verein – wechselten in den letzten drei Jahren für mehrere Millionen Euro zum KAA Gent. Darunter auch die Nigerianer Ibrahim Rabiu, Simon und Kalu. Man erkennt hier ein Netzwerk, das mit seinen globalen Vernetzungen ein gängiges Muster der Fußballökonomie vor Augen führt. Der slowakische Verein hat sich mit Beraterfirmen und Partnerklubs in Belgien (KAA Gent), den Niederlanden (Supervision Management), Nigeria (GBS-Academy) und im eigenen Land (Inter Bratislava) in ein Konstrukt integriert, um die ausgerufenen Ziele „Etablierung“ und „Wertschöpfung“ realisieren zu können. Wenn man sich diese Zusammensetzung verschiedener Interessen in einem Kreislauf vorstellt, sieht man hier ein Netzwerk mit unterschiedlichen Rollenverteilungen, die gemäß ihrer sportlichen und wirtschaftlichen Stellung im Weltfußball verteilt sind. Die GBS-Academy in Nigeria dient zur fußballerischen Arbeitskraftbereitstellung für den AS Trencin, wo Spieler entweder direkt kommen oder zwischenzeitlich an Inter Bratislava eine Spielklasse darunter, verliehen werden. Der AS Trencin ist für die Etablierung der jungen Spieler im Profibereich zuständig, die anschließend von KAA Gent sportlich aufs nächste Level gebracht und in naher Zukunft mit hoher Gewinnspanne verkauft werden. Der AS Trencin dient in dieser Konstellation als Sprungbrett für die Sprungbrettligen, wie die Spielklassen in Belgien und den Niederlanden oft bezeichnet werden.
Der AS Trencin verfolgt eine für die Slowakei durchaus untypische Methode, nämlich mit jungen und hauptsächlich afrikanischen Spielern zum Erfolg zu kommen. Der Klub stellt zur Saison 2018/19 mit einem Durchschnittsalter von 21,8 Jahren erneut das jüngste Team der Fortuna Liga. Slovan Bratislava oder Spartak Trnava hingegen lotsen regelmäßig Topverdiener in die Liga oder setzten auf gestandene Profis. Auch afrikanische Spieler sind abgesehen von Trencin rar in der Slowakei; die meisten Legionäre kommen aus Holland und Osteuropa.
Der Mythos vom Trickle-Down-Effekt
Die Diskrepanz in der Profitverteilung des modernen Fußballs wächst immer mehr, damit werden auch die ungleichen Ausgangslagen zwischen den Topligen, den Sprungbrettligen und der Peripherie immer eklatanter. Wegen fehlender Werbe- und Fernseheinnahmen sind Vereine aus kleinen Ligen gezwungen, auf dem Transfermarkt Gewinne in einer Höhe zu lukrieren, die wirtschaftliches Überleben ermöglichen. Vereine wie der AS Trencin können lokale Talente ab einem gewissen Zeitpunkt ihrer Entwicklung nur noch schwer unter Vertrag nehmen und Toptalente aus der eigenen Jugend nicht lange halten. Somit bleibt ihnen in der derzeitigen Funktionslogik fast nur noch die Möglichkeit, selbst im Ausland zu scouten. Zum Beispiel in Nigeria, wo es viele talentierte Spieler gibt und die lokale Liga finanziell schlecht aufgestellt ist. Das westafrikanische Land dient nicht nur dem AS Trencin als interessanter Markt. Der AS Trencin bekommt eine Weiterverkaufsgebühr zugesichert, wenn die ehemaligen GBS-Absolventen vergleichsweise günstig nach Gent verkauft werden. Laut Andrej Zacik vom Vorstand des AS Trencin gibt es zwar keine Vorverkaufsrechte für den KAA Gent, die Verbindungen nach Belgien sind dennoch eng. „Manchmal ist es besser die Spieler etwas günstiger zu verkaufen, weil es für die belgische Liga leichter ist höhere Transfereinnahmen zu bekommen, siehe bei Lukaku oder Mitrovic. Es ist also für beide ein Vorteil, Gent hat ein geringeres finanzielles Risiko und wir können bei einem weiteren Transfer wieder Einnahmen lukrieren.“ Auf die Frage ob beim Transfer von nigerianischen Talenten aus der GBS-Academy bereits mit künftigen Transfereinnahmen geplant wird, entgegnet Andrej Zacik: „Grundsätzlich geht es darum, dort Talente zu finden, dann herzuholen, weiterzuentwickeln und schließlich zu verkaufen. Das ist die Idee dahinter, das ist kein Geheimnis.“
Diese Praxis geschieht jedoch auch auf Kosten afrikanischer Akteure, namentlich der nigerianischen Vereine und der Qualität der lokalen Ligen, die keine Chance auf die Verpflichtung der regionalen Talente haben. Eine ähnliche Ausgangssituation also wie der AS Trencin in der Slowakei, nur dass nigerianische Vereine keine Möglichkeiten haben, anderswo gut ausgebildete Fußballer „abzuwerben“. Nigeria hat fast 200 Millionen Einwohner und die meisten afrikanischen Legionäre am Globus. Diese Legionäre bringen außerhalb ihres Heimatlandes jährlich zig Millionen Transferablösen weltweit. Nigerianische Akademien oder Vereine sind in den meisten Fällen aus der gängigen Praxis der hohen Ablösesummen ausgeschlossen und bleiben oft auf die FIFA-Ausbildungsentschädigung angewiesen. Im Falle Nigerias kann diese zwischen 2.000 und 30.000 Euro betragen, abhängig von Ligazugehörigkeit oder Professionalisierung. In Europa hingegen können diese Ausbildungsentschädigungen bei bis zu 90.000 Euro liegen. Bei der GBS-Academy sind laut eigenen Angaben 3.000 Euro pro Spieler von interessierten Vereinen zu bezahlen. Andrew Randa konnte zwar bestätigen, dass die GBS-Academy die international üblichen Weiterverkaufsgebühren bei Spielerabgängen vertraglich verankert hat, im Gegensatz zu den europäischen Fußballmillionen ist dies aber nur ein Bruchteil der schlussendlich fällig wird. Außerdem ist unklar, ob die Profiteure des GBS-Konstrukts afrikanische oder europäische sind, auch wenn verschiedene lokale Projekte in Jos unterstützt werden. Laut Randa bietet die GBS-Academy aber keine Schulbildung an, immer noch eine gängige Praxis in vielen afrikanischen Fußballakademien. Somit sind Absolventen oft auf fußballerischen Erfolg als einzige Möglichkeit angewiesen.
Vermutlich ist Andrej Zacik gerade deshalb überzeugt, im AS Trencin ein Entwicklungsprojekt für afrikanische Fußballer gefunden zu haben. Die Chance für junge Afrikaner sei hier größer als bei den meisten anderen Klubs, da sie ihnen mehr Zeit zur Entwicklung geben. Dabei muss jedoch auch beachtet werden, dass der Verein so leichter Ablösesummen verlangen kann und die Spieler nach einer guten Saison nicht ablösefrei ziehen lassen muss. Die neue Philosophie brachte dem AS Trencin den Spitznamen „slowakische Antwort auf den FC Porto“ ein, wie der Klub vom Sportjournalist Lukas Vrablik auf seinem Blog genannt wurde. Wie beim FC Porto gibt es beim AS Trencin gezielte Bemühungen sich möglichst früh die Rechte an jungen und in diesem Fall afrikanischen Talenten zu sichern. Ob der AS in Zukunft an die sportlichen Erfolge des portugiesischen Klubs anschließen kann, wird sich erst weisen. Als Faktum bleibt, dass durch internationale Transfers, besonders wo afrikanische Akteure involviert sind, Finanzströme in Bewegung gesetzt werden, die oft nicht transparent und auch bei eingängiger Recherche schwierig nachzuvollziehen sind.
Text: Matthias Krammerstorfer & Klemens Lobnig
Photos: Klemens Lobnig
Dieser Text ist in leicht abgewandelter Form auch im Ballesterer #133 erschienen.