Per Masterplan zur Fußballmacht

China möchte zu einer Großmacht im Fußball werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 2016 mit dem „Medium and Long-Term Development Plan of Chinese Football (2016 – 2050)“ eine riesige Reform verabschiedet, die den chinesischen Fußball völlig verändern soll. Die Reform ist in kurz- mittel- und langfristige Ziele unterteilt und soll dabei in den nächsten 35 Jahren die Richtung vorgeben. Am Ende angekommen, sollen die größte Fußballökonomie der Welt, 60.000 neue Fußballplätze und die Ausrichtung einer Weltmeisterschaft zu Buche stehen. Wir sprachen darüber mit Ostasienforscher Ilker Gündogan.

b-side.football: China will unter der Schirmherrschaft Xi Jinpings mit einem großen Plan zur Fußballweltmacht aufsteigen. Was kann man sich unter diesem Plan vorstellen?

Ilker Gündogan: Dieser Plan ist vielschichtig und beinhaltet sehr viele Reformpunkte. Schon im Namen kommt das Wort „comprehensive“, also allumfassend vor. Er bezieht sich auf ganz unterschiedliche Bereiche. Gesundheit ist da ein wichtiges Thema, Wirtschaftswachstum, aber auch die Frage wie man das nationale Image im Ausland verbessern kann.

Was sind die Kernpunkte dieser Reform?

Es ist schwer, einzelne Kernpunkte herauszufiltern, weil die Pläne so vielfältig sind. Einer der Hauptgründe für die Reform ist aber das neue Selbstbild Chinas. Man versucht die Rolle Chinas in der Weltpolitik neu zu definieren. Lange galt das Prinzip „keeping low profile“, also sich zurückzuhalten, z.B. in internationalen Beziehungen. Hier gibt es einen Bruch, der mit dem Amtsantritt von Xi Jinping zusammenfällt. Ein häufiges Wort in den Plänen für den Fußball ist „rejuvenation“ (Verjüngung), auch hier geht es um dieses neue Prinzip.

Ein Ziel ist auch schneller Erfolg für das Herrennationalteam?

Ja, der chinesische Männerfußball steht im Vordergrund. Zu den chinesischen Frauen gibt es in den Reformplänen nur einzelne Paragraphen. Das liegt natürlich daran, dass der Männersport eine viel größere Reichweite hat. Viele Chinesen wissen wahrscheinlich nicht einmal, dass 1991 und 2007 Frauenweltmeisterschaften in China stattgefunden haben.

Welche Rolle spielt Nationalismus im chinesischen Fußball?

Allein schon von dem Aspekt, wieso es diese Reform überhaupt gibt, spielt Nationalismus eine Rolle. Hier geht es wieder um diese Selbsterstarkungsbewegung, dass man wieder stolz sein muss auf sein Land, und das auch zeigen kann. Im Inland und im Ausland. Über den Fußball soll die Bindung zur Nation gestärkt werden.

Die chinesische Fußballiga war in den 2000er Jahren von Korruption und Bestechung geprägt. Der Staat hat versucht gegenzusteuern. Wie ist die Situation heute?

Im Jahr 2009 gab es die umfangreichste Antikorruptionskampagne in der chinesischen Sportgeschichte. Dabei sind viele Menschen inhaftiert und auch verurteilt worden. Darunter waren Schiedsrichter, Manager, Spieler und Trainer. Das war schon eine Art Cut. Ein starkes Zeichen der Regierung, dass man das so nicht duldet und etwas unternimmt. Das heißt aber nicht, dass es jetzt keine Korruption mehr im chinesischen Fußball gibt.

Kann man sagen, dass Fußball nach und nach zu einem Volkssport in China wird?

China hat rund 1,4 Milliarden Einwohner. Als Xi Jinping 2015 seinen Staatsbesuch in Großbritannien absolvierte, wurde er von Reportern gefragt, was er über den chinesischen Fußball denkt und er sagte: „In China gibt es über 100 Millionen Fußballfans.“ Das war seine Reaktion darauf. Wenn einfach mal so von über 100 Millionen Fans gesprochen wird, ist das schon eine enorme Zahl. Auch wenn nicht klar ist, was unter Fan verstanden wird, ist das Potential in China riesig und wird auch noch zunehmen. Ob es jetzt ein Volkssport ist? Es gibt andere Sportarten, die mindestens genauso beliebt sind, z.B. Basketball, wo man mit Yao Ming einen international bekannten NBA-Star hatte. Früher gab es an Schulen oder Universitäten nur sehr wenige Fußballplätze, dafür gab es überall einen Basketballkorb. Das verändert sich im Moment doch stark.

Welche Rolle spielt eigentlich die Demographie Chinas in diesen ganzen Plänen? Tun sich große Länder schwerer dabei, ein schlagkräftiges Team zu formen?

Das ist auch die Frage, die sich viele Chinesen stellen. „Ja, wir haben 1,4 Milliarden Einwohner. Wie kann es sein, dass wir nicht elf Mann auf den Platz bringen können, die vernünftig miteinander Fußballspielen?“ Das ist ja oft dieses Narrativ. Aber das hängt stark damit zusammen wie man den Fußball überhaupt fördert. Und da gibt es im Vergleich zu den europäischen Fußballnationen klare Defizite. Man sieht, dass der Fokus lange nicht auf Fußball lag. Es hatten eher Sportarten Priorität, in denen China schnell zu olympischen Goldmedaillen kommen konnte. Und sie sind ja auch olympiastark, das hat man in Peking 2008 gesehen.

In welchem Bereich kann man die Entwicklungen der neuen Politik am deutlichsten sehen?

Ich glaube, einen massiven Einschneit gab es doch in der Schule, im Bildungssystem. Man hat da versucht unterschiedliche Schulformen zu etablieren, Schulen mit spezifischen Fußballcharakteristika. So nennt man diese jetzt. Die müssen bestimmte Mindeststandards erfüllen, damit sie als so eine Schule gelten und gefördert werden. Da gab es dann schon eine große Veränderung. Man kann deutlich sehen, dass die Partizipation am Fußball stark angestiegen ist.

Wie sieht es mit Graswurzelbewegungen aus? Gibt es die?

Es gibt nicht dieses Vereinsleben, dass man bei uns in Europa kennt. Diese Vereinskultur, oder Fankultur entsteht gerade erst. Das ist alles relativ neu, auch weil die meisten Vereine erst in den 1990er Jahren gegründet wurden. Auch der Ligabetrieb wurde erst 1994 aufgenommen. Das liegt auch daran, wie der Fußball in China gefördert wird. Nicht in den Vereinen, sondern in den Schulen. Aber es gibt diese Graswurzelbewegungen, und auch Fanbewegungen. Das ändert sich gerade.

Kommen wir zu den Investitionen im chinesischen Fußball. Unterscheiden sich die im In- und Ausland?

Ich würde da keinen großen Unterschied machen. Es gibt sehr viele unterschiedliche Investoren, große und kleine, in allen möglichen Bereichen. Wenn man sich die zweite Liga in Portugal anschaut, sind da eher kleinere Unternehmen. Andererseits gibt es Großkonzerne wie China Media Capital, die in Manchester City investiert haben. Eine koordinierte Maßnahme, dass nur bestimmte Unternehmen im Fußball investieren sollen, gibt es nicht.

Auch deutsche Vereine, wie z.B. Schalke oder Wolfsburg versuchen sich am chinesischen Fußballmarkt zu etablieren. Was versuchen sie damit zu erreichen?

Der chinesische Markt ist enorm und viele Vereine möchten dieses Potential natürlich gerne nutzen. Da geht es um Merchandise, um eine Internationalisierungsstrategie. Wie ich meine Marke im Ausland steigern und Gewinne generieren kann. Die englische Premier League macht das schon seit Jahren, und auch in Spanien ist man Deutschland noch einen Schritt voraus. Da versucht man nachzuziehen und ist auch teilweise schon erfolgreich. Z.B. wurden letztes Jahr die TV-Rechte für die Bundesliga für viel Geld von der DFL nach China verkauft. Das ist schon ein Meilenstein für den deutschen Fußball in China.

Wo sehen Sie das größte Entwicklungspotenzial für den chinesischen Fußball?

Ich glaube überall ist Luft nach oben, in jedem einzelnen Bereich. Ein spannender Aspekt ist aber, welche Rolle neue Technologien zukünftig spielen werden. China ist sehr stark bei Technologien wie künstlicher Intelligenz und hat viel Erfahrung mit Big Data. Das kann beim Scouting, bei Trainingsmethoden, beim Umsetzen von Lehrplänen schon eine wichtige Rolle spielen. Das könnte sich vielleicht zu einem kompetitiven Vorteil für China entwickeln.

Ist China im Plansoll? Trägt die Arbeit Früchte?

Im Moment befindet sich China noch bei der Umsetzung der kurzfristigen Ziele. Da geht es in erster Linie darum, die Partizipation am Fußball zu steigern. Das Ziel ist, dass sich viel mehr Menschen mit Fußball beschäftigen und selbst auch spielen. Da wurden schon einige Erfolge verzeichnet. Man ist noch am Anfang dieser Entwicklung und die Früchte werden sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Ich glaube, man darf noch nicht so viel erwarten. Das man bei der nächsten WM groß aufspielt und Brasilien oder Deutschland schlägt, glaube ich nicht. Eine Teilnahme wäre schon ein großer Erfolg für China.

Ilker Gündogan (30), ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ostasienwissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum und promoviert dort zum Thema Fußballpolitik unter Präsident Xi Jinping. Über seine Ergebnisse bloggt er auf: china-football-8.com.

Dieses Interview ist in verkürzter Form unter dem Titel “100 Millionen Fans” auch im Ballesterer #143 erschienen.

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